Das Dorf der Lügen by Barbara Wendelken

Das Dorf der Lügen by Barbara Wendelken

Autor:Barbara Wendelken [Wendelken, Barbara]
Die sprache: deu
Format: mobi, azw3, epub
Herausgeber: PIPER
veröffentlicht: 2014-05-25T22:00:00+00:00


Montag,

5. Dezember

Wie an jedem Morgen führte Helga Höfner gleich nach dem Frühstück ihre King Charles Spanielhündin aus. Da Lori läufig war, wählte sie einen anderen Weg als gewöhnlich. Sie fuhr raus aus Martinsfehn, parkte ihren Wagen auf einem Wirtschaftsweg und lief von dort über die gefrorenen Felder Richtung Heinrichsforst. Sie hatte schon beinahe die ersten Fichten erreicht, als sie das Rad auf dem Boden liegen sah, gelb und schwarz gestreift. Genau so ein Rad und das Mädchen, dem es gehörte, wurden gesucht. Helga Höfners Herz krampfte sich schmerzhaft zusammen. Sofort dachte sie an einen Infarkt. Zum Glück verebbte der Schmerz im nächsten Moment schon wieder.

Ihr fiel ein, wie diese Polizistin gestorben war, erschossen mit Pfeil und Bogen. Was, wenn der Mörder das vermisste Mädchen umgebracht und irgendwo hier versteckt hatte. Oder, schlimmer noch, wenn er irgendwo zwischen den Bäumen auf ein neues Opfer lauerte. So schnell, wie ihre dreiundsechzig Jahre es zuließen, flüchtete Helga Höfner zurück zu ihrem Wagen. Die fiepende Hündin schleifte sie hinter sich her. Zur Not hätte sie die Leine sogar losgelassen. Sie wollte nicht sterben, nicht wegen einer Hündin, die nicht gehorchen konnte. Lori schien das zu spüren und trabte die letzten Meter freiwillig mit. Erst als sie im Auto saß und alle Knöpfe heruntergedrückt hatte, fühlte Helga Höfner sich einigermaßen sicher. Ihr war klar, dass sie sofort die Polizei anrufen musste. Nervös kramte sie in ihrer Jackentasche nach dem Handy. Wie immer, wenn sie ausnahmsweise mal damit telefonieren wollte, war der Akku leer. Ihre Kinder lachten schon darüber und fragten, wozu sie überhaupt ein Handy bei sich trug, wenn es entweder ausgeschaltet oder leer war. Recht hatten sie. Helga Höfner beschloss, zurück in den Ort zu fahren, am besten gleich zum Polizeirevier. Zweimal würgte sie den Motor ab, bis sie endlich diesen unheimlichen Ort verlassen konnte.

Manchmal beschließt das Schicksal, ein wenig Gnade walten zu lassen. Renke hatte an diesem Tag Spätdienst. Er war also nicht auf dem Revier, als um zwanzig nach acht eine hysterische Frau den Fund des gesuchten Tigerenten-Fahrrads meldete. Oliver Dellbrink und Jens Stiller wechselten einen kurzen, einvernehmlichen Blick, dann riefen sie direkt bei Nola an.

Sie befand sich ohnehin auf dem Weg nach Martinsfehn. Viktorias Handy war inzwischen ausgewertet und das Ergebnis warf neue Fragen auf. Im Revier sagte sie nicht mal Moin, sondern fragte atemlos: »Renke weiß noch nicht Bescheid? Okay, einer von euch kommt mit, der andere bleibt hier. Wann fängt sein Dienst an?«

»Um elf, aber er kommt bestimmt eine Viertelstunde eher«, sagte Jens.

Bis dahin blieben knapp zwei Stunden. Schon während der Fahrt bestellte Nola die Suchhunde.

Alles war so, wie die Frau es beschrieben hatte. Das Rad lag auf der Grenze zwischen Feld und Wald, Schwarz und Gelb gestrichen, ein Tigerentenfahrrad, auf den ersten Blick verborgen von ein paar halbhohen, immergrünen, stacheligen Sträuchern, deren Name Nola nicht einfiel. Es wirkte so, als hätte man es in großer Eile hingeworfen, auf dem Gepäckträger war noch der Eastpak befestigt. Alles war überzogen mit einer dünnen Eisschicht. Sie suchten flüchtig die nahe Umgebung ab, fanden aber nichts.



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